f e r r u g o

Nachhaltigkeit in der Theorie

Was ist Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit hat sich zu einem echten Modewort entwickelt und wird in vielen unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht. Zumeist ist etwas gemeint, das für irgendwen einen Vorteil oder Nachteil darstellt, der nicht nur kurzfristiger Natur ist. Es wird zum Beispiel von einer «nachhaltigen Schädigung des Waldbestandes» oder dem «nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung» gesprochen. In diesen Fällen wird «nachhaltig» einfach als Synonym für «langfristig» verwendet – es klingt nur ein bisschen moderner und wichtiger.

Wäre das alles, könnte man «Nachhaltigkeit» getrost vergessen. Dass dieses Wort auch hier fällt, geht auf das Buch Das Prinzip Nachhaltigkeit von Felix Ekardt zurück. Ekardt füllt das Schlagwort mit Inhalt und liefert eine saubere und überzeugende Definition seines Verständnisses von Nachhaltigkeit:

«In bündiger Kürze kann man sagen: Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung meint das Ziel, daß unsere Kinder und Kindeskinder auch morgen noch etwas auf dem Teller haben – und daß überhaupt erstmals alle Menschen dieser Welt etwas auf den Teller bekommen. Es geht also um eine lebenswerte, freiheitliche und friedliche Erde für alle Menschen.

[...]

Nachhaltigkeit zielt dergestalt auf Zukunftsfähigkeit einschließlich einer global gleichmäßigen (Grund-)Bedürfnisbefriedigung. Das Problemfeld, daß die einen vor lauter Wohlstand ihre Lebensgrundlagen zerstören, während viele andere gleichzeitig verhungern, soll ineinander vernetzt werden. Beides hängt eben zusammen. Würde man die Grundbedürfnisse der Südhalbkugel ohne gleichzeitigen Lebenswandel im Okzident sichern und das westliche Lebensmodell schlicht in den Süden übertragen, ständen, wie bereits erwähnt, das globale Klima und die globale Ressourcenversorgung vor dem Kollaps. Darum soll nach der – unverbindlichen – Agenda 21 der Rio-Konferenz von 1992 der Okzident seinen Ressourcenverbrauch reduzieren und den südlichen Ländern wenigstens eine angemessene Sicherung der Grundbedürfnisse eröffnen. Dies soll der Kern aller Politik und allen Handelns werden.»

(Ekardt, Felix: Das Prinzip Nachhaltigkeit, München 2005, S. 25f.)

So definiert bedeutet Nachhaltigkeit weit mehr als nur irgendwelche längerfristigen Ziele zu verfolgen.
Selbstverständlich ist Ekardt nicht als Einziger auf die Idee gekommen, den Begriff Nachhaltigkeit einzugrenzen und inhaltlich aufzuwerten. Insbesondere die Auffassung, Nachhaltigkeit bestehe darin, soziale, ökologische und ökonomische Belange miteinander zu vereinbaren, ist weit verbreitet. Dieses sogenannte Drei-Säulen-Modell bringt jedoch wesentliche Schwierigkeiten mit sich:

Erstens ist eine klare Trennung sozialer, ökologischer und ökonomischer Aspekte, wie sie von der Formel der Vereinbarkeit suggeriert wird, überhaupt nicht möglich. Zum Beispiel ist der Anbau von Monokulturen für den Export in Afrika ein Problem, das soziale ebenso wie ökologische und ökonomische Fragen berührt.

Zweitens sagt die These von der Vereinbarkeit noch nichts über die zukünftige Entwicklung. Es geht lediglich darum, verschiedene heutige Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Das Modell ist statisch, die Perspektive auf einen langen Zeitraum fehlt.

Drittens bietet diese Definition keinen Maßstab, der die drei Faktoren miteinander vergleichbar macht. Welcher Faktor wie stark gewichtet wird, ist zumeist das nur Ergebnis eines eines «realpolitischen» Tauziehens.

Viertens ist es sehr zweifelhaft, ob sich diese Ziele überhaupt miteinander vereinbaren lassen. Ein immer weiter und weiter gesteigertes Wirtschaftswachstum mit einem immer größeren Verbrauch von Ressourcen steht in direktem und unüberwindlichem Gegensatz zur Erhaltung unserer natürlichen Umwelt.

Und fünftens legt die Rede von der Vereinbarkeit nahe, es genüge, ein paar Grenzwerte für die Industrie einzuführen und zu überwachen. Unser derzeitiger Lebensstil wird nicht angetastet, obwohl es genau darauf ankommt: weniger verbrauchen, weniger kaufen, weniger wegwerfen.

Die ekardtsche Nachhaltigkeit bietet nicht nur eine Lösung für diese theoretischen Probleme, sondern auch für ein sehr praktisches: Sie nicht mehr darauf angewiesen, dass Politiker oder Wirtschaft etwas unternehmen, sondern lässt sich auch auf das Handeln des Einzelnen anwenden.
Daher beziehen wir uns auf die Definition von Felix Ekardt, die sich auf die Kurzform bringen lässt: Nachhaltigkeit ist Gerechtigkeit zwischen allen Menschen – heute und in Zukunft.

Lässt sich eine nachhaltige Welt mit den Mitteln des technischen Fortschritts erreichen?

In Gesprächen zum Thema Nachhaltigkeit habe ich oft gehört, der technische Fortschritt werde es in absehbarer Zeit ermöglichen, ein umweltverträgliches Leben auf dem heutigen Standard oder darüber zu führen. Gern wird dann die Kernfusion als die Energiequelle der Zukunft genannt, die alle bestehenden Probleme lösen soll.

Das klingt gut, doch zukünftige Entdeckungen lassen sich nur schwer vorhersagen. In der Hoffnung darauf einfach beim althergebrachten Lebnsstil zu verharren ist zwar bequem, aber kaum mehr als eine moderne Form des Wunderglaubens.

Bis diese oder irgendeine ähnliche Erfindung (sollte es wirklich dazu kommen) endlich einsatzbereit ist, vergehen außerdem Jahrzehnte – Jahrzehnte in denen Menschen verhungern, Inseln im Meer versinken und weitere Arten aussterben. Diese Verluste können nicht wieder wettgemacht werden. Die Situation erfordert sofortiges Umdenken und Handeln, nicht die Hoffnung auf eine einfache Lösung in fünfzig Jahren oder später.

Und stellen wir uns vor, die EU schafft den entscheidenden Durchbruch in der Kernfusion noch 2010 und die Technologie ist bereits 2015 für die Energieerzeugung einsetzbar. Ist dann damit zu rechnen, dass diese Technologie nun sofort den anderen Staaten zur Verfügung gestellt wird, damit diese ihren Energiebedarf decken und den CO2-Ausstoß senken können? Oder teilt man die Entdeckung nur mit jenen, die bereit sind, dafür zu zahlen? Oder teilt man sie überhaupt nicht, um so einen Wettbewerbsvorteil für den Wirtschaftsstandort Europa zu erlangen? Und was passiert, wenn der Bau oder der Betrieb von Fusionskraftwerken mehr kostet als bei Kohlekraftwerken? Zu welcher Technologie werden die Stromerzeuger überwiegend greifen?

Der Einsatz von Technologie kann ohne Zweifel helfen, die aktuellen Probleme zu lösen. Dazu zählen die Errungenschaften der Physik und Chemie ebenso wie die der Agrarwissenschaften oder der Medizin. Es hilft jedoch nicht, auf zukünftige Erfindungen zu hoffen. Wir können uns nur auf die Technologien stützen, die wir auch besitzen. Es genügt allerdings nicht, die Technologie zu besitzen. Das Hauptproblem ist der verantwortungsbewusste Einsatz. Und das heißt: Mit oder ohne neue Technologie – der Umgang der Menschen untereinander und mit unserer Umwelt muss sich ändern. Solange alles oder fast alles auf die rücksichtslose Maximierung von Besitz oder Spaß ausgerichtet ist, wird es keine Nachhaltigkeit geben, denn Gerechtigkeit ist kein technologisches Problem, sondern eine Frage der Lebensstils. Deshalb lässt sich eine nachhaltige Welt zwar mit technologischer Unterstützung, aber nicht auf technologischem Weg erreichen.